"Der Satz,
das Konzept ist keine Aussage, sondern eine Anweisung, ein Befehl.
Und doch ist es keine übliche sprachliche Mitteilung, etwa
wie "nicht überholen" oder "Du sollst nicht
töten". Beim Lesen und bei der Sinnerfassung spielen die
Größe der Buchstabe, ihre plastische Massivität
und ihre rote Farbe eine wichtige Rolle. Man kann nicht darüber
hinwegsehen; der Satz besetzt optisch die Aufmerksamkeit. Es ist
wichtig, dass die Schrift so groß ist, dass sie nicht nur
als Zusatz zu dem Gebäude wirkt, als Markierung, sondern dass
sie als Gebilde nach vorne tritt. Es ist auch wichtig, dass man
von der einen Seite her zuerst nur das Wort GEHORCHE liest und danach
erst, wenn man um die Ecke biegt, die Anweisung sich in ihr Gegenteil
wendet. Und es ist weiter wichtig, dass man die Arbeit, die Vorstellung,
die sie auslöst, mit der Universitätsbibliothek verbindet
- und dies nicht nur mit dem gläsernen Gebäudeteil, sondern
dem gesamten Komplex. All das sind optische Elemente, die beim Erfassen
des Werkes mitspielen.
Diese
visuelle Wirkung bedarf keiner Erklärung, sie ist einfach da
- durch die Größe, die Farbe usw. Wegen der visuellen
Präsenz und Gestalt zeigt dieser Schriftzug sich selbst, er
weist nicht auf einen Urheber und erfordert nicht eine Handlung,
sondern er erzeugt eine Vorstellung. Diese Vorstellung besteht in
einem inneren Umgang mit dem Konzept, in der gedanklichen und sinnlichen
Auseinandersetzung mit dem Satz, mit der Größe und Farbe
der Buchstaben und ihrem Eindruck an der Gebäudewand.
Die Vorstellung
wird eine andere sein, wenn man dem Schriftzug zum ersten Mal begegnet,
als wenn man ihn schon kennt und sich bereits unwillkürlich
seine Gedanken gemacht hat. So ist die Vorstellung jedenfalls keine
einfache Bestätigung, das Werk lässt sich nicht rundweg
ausführen. Darin liegt übrigens eine besondere Qualität
der visuellen Sätze von Babak Saed, dass sie keine glatte Ausführung
ermöglichen, sondern eine gedankliche Arbeit auslösen;
man geht die Aussage wieder und wieder durch. Man widerspricht auch
der Einfachheit dieser Aussage; man fragt nach ihrem Autor und spürt
das Fehlen der Autorität. Manche werden auch einen Widerspruch
zur eigenen Einstellung spüren, etwa wenn man das Gehorchen
in irgendeiner Form als notwendig und unumgänglich auffasst.
Andere werden sich in ihrer Aufmüpfigkeit bestätigt fühlen,
vielleicht gerade dann aber die massive Größe des visuellen
Auftritts ablehnen, die vielleicht auch etwas Einschüchterndes
hat, weil sie so unübersehbar sich aufdrängt. Man wird
vielleicht auch den Widerspruch bemerken, dass die Aufforderung
zum Ungehorsam selbst in der Form eines Befehls auftritt. Viele
werden sich auch Gedanken machen, dass man als Student und als Wissenschaftler
in dieser Bibliothek vielfältige Formen des Gehorchens praktiziert;
man überlegt sich, ob das Befolgen von Prüfungsordnungen
oder von geistiger Disziplin ein Gehorchen bedeutet.
Das Konzept
des Kunstwerkes ist darauf ausgerichtet, Vorstellungen bei jedem
einzelnen Betrachter auszulösen, der darüber nachdenkt,
der sich darüber ärgert, der sich bestätigt oder
irritiert fühlt. Das Kunstwerk besteht in der Art, wie alle
Betrachter diesen großen roten Satz GEHORCHEKEINEM ganz persönlich
realisieren. Das Werk ist kein starres und
materielles Gebilde, sondern - und daher passt es so hervorragend
an eine Bibliothek - es ist ein innerer, geistig-sinnlicher Prozess:
Es ist das, was es bewirkt."
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